Langlebige Paarbeziehungen

Wie Männer ihre Liebesfähigkeit herstellen können

Zum Artikel Wie Männer ihre neue Liebe retten können habe ich viele Rückmeldungen bekommen und bedanke mich bei allen LeserInnen dafür. Folgende Frage erreichte mich in einer der...

Zum Artikel Wie Männer ihre neue Liebe retten können habe ich viele Rückmeldungen bekommen und bedanke mich bei allen LeserInnen dafür.

Folgende Frage erreichte mich in einer der Zuschriften:

Lieber Herr Matthaei, haben Sie vielen Dank für den Artikel, [...] An einer Stelle auf ihrer Seite, in einem Kommentar, schreiben Sie: »Männliche Liebe ist eine Qualität, die erzeugt wird.« Könnten Sie das vielleicht noch einmal näher erklären?

Das Wort Liebe trägt eine schwere Last. Es muss so viele verschiedene Bedeutungen in sich vereinen, die in anderen Sprachen deutlich differenzierter verwendet werden. Für unser Verständnis hilfreich ist die griechische Dreiteilung der Liebe in:

  1. Eros, also die leidenschaftliche Beziehung zwischen zwei Menschen und das sexuelle Begehren;
  2. Philia, die menschliche Beziehungsliebe in Verbundenheit miteinander, zu neben der Fürsorge in der Paarbeziehung auch die Verbundenheit zwischen Eltern und Kindern und zwischen dem Menschen und einem Objekt gehört;
  3. Agape, die Hingabe aneinander, in der das Wohl des anderen dem eigenen gleichbedeutend wird.

In den Hindusprachen soll es mehr als 30 verschiedene Wörter für die unterschiedlichsten Aspekte der Liebe geben, ähnlich wie die Vielzahl der Worte für Schnee, die es bei den Inuit gibt.

Drei Schritte zur wahren Liebe

An dem Dreischritt der griechischen Synonyme für Liebe können wir eine Entwicklung erkennen, durch die sich die Beziehung zweier Menschen im Idealfall hindurch bewegt: Beginnend mit der sexuellen Attraktivität treten wir oftmals ein in eine längerfristige Beziehung. In dieser spielt Sexualität weiter eine Rolle und wird ergänzt durch Teilhabe an vielen anderen Aspekten der jeweiligen Persönlichkeit. Anteilnahme, Unterstützung, Sicherheit, Aufmerksamkeit, Fürsorge, Versorgung und viele andere Dinge werden zu Bausteinen der langlebigen Paarbeziehung. Ohne diese erlischt das sexuelle Feuer für gewöhnlich und muss durch neue Partner neu entfacht werden.

Wenn es den Partnern dann gelingt, ihre Verbundenheit immer weiter zu vertiefen, liegt ihnen das Wohl des anderen dauerhaft genauso nah am Herzen, wie das eigene.

Wenn ich schreibe, dass männliche Liebe eine Qualität ist, die erzeugt wird, bezieht sich das darauf, dass es insbesondere Männern nur selten gelingt den Schritt von Stufe zwei auf Stufe drei zu vollziehen. Dies hat mit dem Mangel an initiatischen Erfahrungen zu tun, d.h. mit dem Versagen der älteren Männer-Generation, die jeweils nachfolgende Generation in diese Stufe männlicher Reife einzuführen.

(Wir können uns aber auch selbst an die Nase fassen und fragen: »Welchen Beitrag leiste ich dazu, dass junge Männer nicht dieselben Beziehungsfehler machen, die ich selbst gemacht habe?« )

Stattdessen leisten wir uns häufig ein Leben lang einen unreifen Narzissmus, der für eine Vielzahl unserer gesellschaftlichen und familiären Probleme ursächlich ist. Was im Mann erzeugt werden muss, ist das Vertrauen darauf, dass er nicht verschwindet, wenn er sich hingibt: an seine Gefühle, an seine Frau, an seine Seele… Konkret bedeutet das, die eigene Selbstwahrnehmung zu stärken und die Fähigkeit zum Selbstausdruck auszubauen. Nicht zuletzt heißt es auch, sich seiner Angst zu stellen, „niemand besonderes“ zu sein. Dazu passt, was die Leserin weiter schrieb:

Ich habe vor einiger Zeit ein Seminar zur Gewaltfreien Kommunikation nach Rosenberg gemacht und ich merke, wie sehr mir das hilft, um klar zu kommunizieren, und dass mein Freund dann wirklich etwas mit dem anfangen kann, was ich ihm sage. Es führt aber auch dazu, dass ich relativ häufig Dinge anspreche, die mich bedrücken und relativ viele konkrete Wünsche äußere. Es führt zu einer Menge, meistens sehr harmonischen und das Verständnis vergrößernden "Beziehungsgesprächen", obwohl wir uns noch nicht sehr lange kennen.

Diese Erfahrung teile ich, sowohl aus meiner eigenen Ehe als auch aus der Arbeit als Kommunikationstrainer für Paare. Wenn Paare lernen, sich gegenseitig genügend Zeit zu lassen, nach innen zu horchen und das Gehörte zum Ausdruck zu bringen, dann lösen sich die meisten Konflikte rasch auf. Während wir im gewöhnlichen Alltag auf Recht haben gepolt sind, entsteht in respektvoller Kommunikation ein nährender Dialog.

Mein Lieblingsbeispiel dafür ist die Jalousie für unser Schlafzimmer, auf deren Farbe wir uns nicht einigen konnten. Meine Frau versuchte mich von Beige zu überzeugen, ich bestand auf Terrakotta. Wir ließen uns Zeit, nahmen uns das Thema immer mal wieder vor und irgendwann entstand in diesem gemeinsamen Freiraum die Idee einer abwechselnd gestreiften Jalousie. Diese ziert nun schon einige Jahre unser Schlafzimmer und erweckt in mir immer wieder die Urlaubs-Assoziation einer Markise über einem italienischen Café.

Zurück zum Thema, wie Männer Liebe machen können

Für die meisten Paare ist die erste Phase einer Beziehung eine Mischung aus erhöhter sexueller Attraktivität und gleichzeitig einer Sehnsucht/Wahrnehmung von mehr Tiefe und größerer Verbundenheit miteinander.

In diesen Anfangsbedingungen steckt bereits die Erwartung einer quasi göttlichen Berührung wie Agape sie verspricht. Auf dem Weg dahin muss jedoch zunächst der irdische Teil der Beziehung etabliert werden. D.h. die Übung der täglichen Verbundenheit, der Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse des anderen; das teilnehmen lassen des Partners an den eigenen inneren Vorgängen und äußeren Erlebnissen.

Es scheint, als seien diese Fähigkeiten bei uns aufgrund von Sozialisation und möglicherweise auch geschlechtlicher Vorherbestimmung für Frauen selbstverständlicher als für Männer. Aus diesem Grund sage ich, dass männliche Liebe eine Qualität ist, die hergestellt werden muss. Sie ist uns weder in die Wiege gelegt, noch werden wir im Laufe unserer Kindheit und Jugend sonderlich dazu ermutigt. Im Gegenteil, männliche Identität speist sich leider immer noch in erster Linie aus allem, was uns dazu einfällt, nicht weiblich zu sein. Dann wird ein Mann, der mit Frauen sprechen kann, als Frauenversteher diskreditiert, statt dass man ihn fragt, wie ihm das gelingt.

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