Zuhören und verstehen

Ich will nur gehört und verstanden werden...

Foto: Niels Bjerg Neulich brachte es eine Klientin auf den Punkt: »Ich möchte nur gehört und verstanden werden.« Das klingt so einfach und ist so wesentlich,dass es kaum...

Foto: Niels Bjerg

Neulich brachte es eine Klientin auf den Punkt: »Ich möchte nur gehört und verstanden werden.«

Das klingt so einfach und ist so wesentlich,dass es kaum vorstellbar ist, dass Zuhören und Verstehen eine seltene Gabe sind. Gabe in zweierlei Hinsicht: Es ist eine Begabung, wenn jemand wirklich zuhören und verstehen kann. Und es ist ein Geschenk, wenn uns jemand aufmerksam zuhört und versteht.

Warum funktioniert das Zuhören und Verstehen oft nicht richtig?

Zuhören und verstehen sind direkt miteinander verknüpft. Man kann nicht verstanden werden, wenn vorher nicht zugehört worden ist. Widmen wir uns also zunächst dem Zuhören. Hören ist nicht reden, das ist selbstverständlich. Aber hören ist auch nicht gleichzeitig darüber nachdenken, eine Lösung finden wollen, eine Rechtfertigung zurecht legen oder mit etwas völlig anderem beschäftigt zu sein. Man könnte es so ausdrücken: Zuhören gelingt umso besser, je weniger ich denke.

Es fällt uns sehr schwer, nicht zu denken, während wir zuhören. Es ist wohl auch nicht möglich, das Denken vollständig zu stoppen. Eher ist es eine Frage der Aufmerksamkeit und bedarf einer Entscheidung, diese Aufmerksamkeit auf denjenigen zu richten, der spricht, und auf das, was er sagt, anstatt auf die eigenen Reaktionen darauf.

Wenn es gelingt, die eigenen Gedanken für eine Zeit beiseite zu schieben und sich dem Zuhören zu widmen, ist der Boden für das Verstehen bereitet.

Was bedeutet Verstehen? Auf der kognitiven Ebene bedeutet es, dass der Gedanke des anderen identisch in meinem eigenen Geist abgebildet worden ist. Auf der emotionalen Ebene bedeutet es, dass durch die Mitteilung meines Gegenübers in mir ein ähnliches Gefühl entsteht, wie er es fühlt. Beides kann nicht gelingen, wenn ich mit meinen eigenen Gedanken und Gefühlen befasst bin. Um wirklich zu verstehen, müssen wir für die Zeit, die der andere zu uns spricht, gewissermaßen ein unbeschriebenes Blatt sein.

Ich höre manchmal Einwände, dass man doch über Lösungen und Möglichkeiten nachdenken müsse, für Probleme die der andere beschreibt. Wie soll ich jedoch eine geeignete Lösung finden, wenn ich das Problem nicht verstanden habe? Höre ich aufmerksam zu und frage gegebenenfalls nach, um das Problem vollständiger zu verstehen, entsteht nicht selten in meinem Gegenüber eine Ahnung für eine eigene Lösung. Die selbst gefundene Lösung ist uns allemal lieber als die vorgesetzte. Manch einer tut vielleicht so, als ob es ihm schwer falle, eine eigene Lösung zu finden; leistet dann aber umso mehr stillen Widerstand, wenn man in diese Falle tappt und Vorschläge für ein geeignetes Vorgehen präsentiert.

Auf der Gegenseite zum aufmerksamen Zuhören steht das eindeutige Senden

. Wir neigen aus vielen Gründen dazu uns unklar auszudrücken. Z.B.:

  • wenn ich eine Bitte undeutlich formuliere, scheint eine Abweisung nicht so wahrscheinlich;
  • wenn ich mich schlecht fühle, scheint Kritik am Partner der angemessene Weg zu sein, denn irgendjemand muss schuld sein;
  • wenn ich etwas nicht will, scheint eine Themenverschiebung der beste Weg darum herumzukommen.

Alle drei Wege führen zu erheblichen Missverständnissen:

  1. Eine undeutlich formulierte Bitte macht es dem Gegenüber unmöglich, eine klare Position von Ja oder Nein zu beziehen. Die Angst vor dem Nein führt zur Beziehungslosigkeit durch Diffusität.
  2. Kritik löst immer Rechtfertigung und Verteidigung oder aber Gegenangriff aus und führt damit mehr oder weniger subtil zu einem getrennteren Gefühl. Gelingt es, die Kritik zu sich selbst zurückzuverfolgen und das eigene Unbehagen mit den Handlungen des anderen zu beschreiben, ist dies ein Appell an den kooperativen Geist des Gegenübers. So ist die Chance größer, dass der andere sein Verhalten ändern will. Idealerweise kann ich die Verantwortung für meine eigenen (!) Gefühle, die durch die Handlungen des anderen lediglich ausgelöst wurden, vollständig selbst übernehmen. Dadurch wird der Partner freigegeben, seine Beziehung zu mir anders zu gestalten.
  3. Und schließlich: über etwas anderes zu reden, um eine Grenzziehung nicht vornehmen zu müssen, ist eine weit verbreitete Unsitte. Sie führt ebenfalls zur Vereinsamung und zum Ärger. Interessanterweise kann eine klare Grenzziehung zwar zunächst Enttäuschung hervorrufen, führt aber im Ergebnis zu größerer Verbundenheit. Das liegt daran, dass sich in dem Moment, in dem ich meine Außengrenze klarmache auch verdeutliche, an welcher Fläche man mit mir in Beziehung treten kann.

Welche Erfahrungen haben Sie mit richtigem Zuhören und eindeutigen Mitteilen? In welchen Beziehungen klappt es besser, in welchen schlechter?

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