Der Mönch im Mann
Stille, Einsamkeit, Männergemeinschaft
Autor: Henning Matthaei @ Mastodon
Thema: Burnout
Viele Männer, die ich kenne, haben schon einmal damit geliebäugelt, sich für eine gewisse Zeit von ihren alltäglichen Herausforderungen zurückzuziehen. Manche nennen das Sabbatjahr, andere Kloster auf Zeit.
Dabei geht es immer um dieselbe Qualität. Man will sich für eine gewisse Zeit auf sich selbst konzentrieren und auf das Wesentliche im Leben besinnen. Es geht dabei weniger um einen langen Zeitraum oder um einen besonders abgeschiedenen oder heiligen Ort. Vielmehr ist das Ziel, eine innere Haltung zu finden und sich immer wieder an sie zu er-innern. Wir bringen sie gemeinhin mit Mönchen in Verbindung.
Ich nenne dieses Bedürfnis daher Mönch auf Zeit. In jedem Mann steckt auch ein Mönch: Ein Mann der den Dingen auf den Grund gehen will. Ein Mann, der den Grund des Lebens verstehen will. Ein Mann, der Gleichmut und Großherzigkeit in sich tragen und in der Welt verbreiten möchte.
Was bedeutet Mönch auf Zeit? Zu den Idealen des Mönchs gehören Gelassenheit, innere Ruhe, Frieden mit sich und der Welt, Freundlichkeit, Offenheit und Absichtslosigkeit. Es gelingt uns bei weitem nicht immer diese Qualitäten an den Tag zu legen. Aber es gibt eine große Sehnsucht danach, sie zu verkörpern. Und es gibt eine große Ablenkung davon – wir nennen sie Alltag. Wir sind so lange Mönche, wie wir im Kontakt sind mit diesen Qualitäten. Mal ist es länger, mal kürzer. Und es ist immer notwendig sich Zeiten der Er-Innerung in sein Leben einzubauen.
Ab dem Alter von 35 bis 40 Jahren wird uns zumeist klar, dass wir die wesentlichen gesellschaftlichen Standards erreicht haben. Wir haben einen Beruf erlernt, eine Familie gegründet und einen gewissen Besitz angeschafft. Jetzt lässt sich noch etwas mehr anhäufen - doch das Lebensglück lässt sich auf diese Weise nicht vermehren.
Wenn Lebensglück nicht allein vom Besitz abhängig ist, was ist es dann, das Zufriedenheit und Freude hervorruft? Meine These dazu ist: dem SEIN auf den Grund gehen. wir haben so viel zu tun, zahllose Aufgaben und Verpflichtungen, so dass es uns manchmal für Jahre entgeht, dass unsere Seele vertrocknet.
Es ist nicht selten, dass wir Männer dann unsere Partnerinnen dafür beschuldigen, dass wir sie nicht mehr lieben können. Dabei haben wir uns selbst vergessen und haben die Liebe zu Wahrheit, Klarheit und Erkenntnis dem Wunsch nach Bedeutung, Anerkennung und Erfolg geopfert.
Wir sind im Hamsterrad gelaufen ohne nach links und nach rechts zu schauen und ohne zu erkennen, dass das Rad sich nur dreht, weil wir laufen. Es ist Zeit zum Innehalten, zur Besinnung, zur Umkehr.
Aus meiner Sicht gibt es drei Wege mit dem Mönch im Mann in Kontakt zu treten:
- Stille
- Einsamkeit
- Männergemeinschaft
Stille
Stille bedeutet genau das. Den Gedanken keine neue Energie zuführen, sie auslaufen lassen und allmählich in einen inneren Raum der Ruhe einzukehren. Es gibt unzählige Wege, die sich mit diesem Ziel befassen. Die meisten von ihnen werden unter Begriffen wie Meditation oder Yoga zusammengefasst. Aber mancher findet auch zu dieser Gedankenstille, indem er joggt oder seinen Kindern beim Spielen zuschaut.
Einsamkeit
Einer der besten Wege, mit sich selbst ins Reine zu kommen und in tieferen Kontakt mit dem SEIN zu treten, ist die Einsamkeit. Das kann ein Spaziergang im Wald sein, eine Wanderung in den Bergen, ein Tag auf dem Fahrrad in der Sonne. Das Wesentliche ist es, alleine unterwegs zu sein.
Besondere Wirkung hat es, wenn man sich absichtsvoll verirrt. Nehmen Sie sich dazu ein größeres Gelände vor, dass sie nicht so genau kennen. Gehen Sie ohne Landkarte los und verlassen Sie die bekannten Wege, vielleicht gehen sie sogar ganz querfeldein. Wechseln Sie häufiger die Richtung, bis Sie nicht mehr so genau wissen, wo Sie sind. Lassen Sie sich eher von inneren Impulsen als von Gedanken durch die Landschaft treiben. In der Erkenntnis „Ich habe mich verlaufen“ steckt immer ein Kern des Sich-Findens.
Genau so gut funktionieren aber auch Wanderungen durch strömenden Regen, von denen sie durchnässt und verfroren nachhause kommen, oder ein Marsch am Strand gegen den kalten Wind, der ihnen die Kraft nimmt.
Es gibt eine Verlockung in Männern, die Grenzen zu testen. Wenn wir unserem Körper-Geist-System keine Erfahrungen anbieten, durch die es die Grenzen verspüren kann, tendieren wir dazu, im Alltagsleben über unsere Grenzen hinaus zu gehen und auch die Grenzen anderer nicht zu respektieren.
Männergemeinschaft
Neben Stille und Einsamkeit ist die Gemeinschaft mit anderen Männern mit Abstand das Heilsamste, das wir in zur Genesung unserer Seele tun können. In einer Gesellschaft der Konkurrenz und des Wettkampfs wirkt eine Gemeinschaft von Gleichen unter Gleichen entlastend und befreiend. Man erkennt sich im Anderen, erkennt Freud und Leid als menschliche Zustände. Freundlichkeit und Achtsamkeit gegenüber uns selbst erhalten die Erlaubnis in uns Fuß zu fassen.