Die sechs Stufen einer reifenden Paarbeziehung - Teil 2

Kreativität, Kontinuität und die Einheit der Zwei

Im letzten Artikel haben wir die ersten drei Stufen der reifenden Paarbeziehung beleuchtet. Es ging um emotionale Autonomie, sexuelle Polarität sowie partnerschaftliche...

Im letzten Artikel haben wir die ersten drei Stufen der reifenden Paarbeziehung beleuchtet. Es ging um emotionale Autonomie, sexuelle Polarität sowie partnerschaftliche Kommunikation. Heute folgen die 3 höheren Stufen der Entwicklungspyramide.

4. Kreativität

Nicht wenige Paare starten mehr oder weniger unvorbereitet auf dieser Ebene. Kurz nachdem sie sich kennengelernt haben, wird die Frau schwanger und einer der kreativsten Prozesse, der zwischen männlichem und weiblichem Pol stattfinden kann, ist in Gang gesetzt.

Aber was geschieht dann?

Aufgrund der unvollständig ausgebauten Grundstufen (emotionale Autonomie und sexuelle Polarität) und der deshalb nicht funktionierenden kommunikativen Ebene ist das Paar unfähig, der Kern einer stabilen Familie zu sein. Es gelingt dem Paar nicht, die neuen Aufgaben angemessen anzunehmen und seine interne Struktur so umzubauen, dass es diesen gerecht wird ohne sich als Paar aus den Augen zu verlieren.

Es gibt kaum ein Paar mit kleinen Kindern, bei dem nach der Geburt nicht die Sexualität erschüttert ist. Manchmal liegt sie dann über Jahre brach, weil keiner von beiden den Weg zurück kennt. Vielen Paaren fehlt die Fähigkeit dieses Dilemma in eine Sprache zu übersetzen, die frei von gegenseitiger Verletzung ist und eine echte Lösung hervorbringt. Dies ist ein Hinweis darauf, dass das Fundament der Partnerschaft wackelt. Stufe vier bringt Ergebnisse (Kinder), aber der Keller steht unter Wasser (sexuelle Identität und polare Kommunikation).

Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass nicht nur Kinder Ausdruck des kreativen Prozesses der Verbindung von männlichen und weiblichen Pol sein können. Sie sind nur der offensichtlichste und am weitesten verbreitete. Je klarer wir jedoch den Entwicklungsprozess von der Autonomie über die Kreativität bis hin zur Einheit verstehen, desto offensichtlicher wird, dass Kreativität physische und geistige Produkte aller Art umfasst.

Genauso bringt der kreative Prozess bisweilen auch Fehlentwicklungen hervor, wenn Weibliches und Männliches nicht in Balance gehalten werden. Dann bringt der von seiner Ideenkraft besoffene männliche Geist Technologien hervor, deren Folgen er in keiner Weise absehen geschweige denn beherrschen kann; oder Diskussionsprozesse, in denen nach weiblichem Prinzip jeder gehört und verstanden werden soll, kreisen endlos, weil strukturierende Elemente fehlen, die notwendige Entscheidungen herbei könnten.

5. Kontinuität

Wenn nun also männlicher und weiblicher Pol auf einem stabilen Selbstwertgefühl ruhen, können sie sich in einem ausgewogenen und gleichzeitig spannungsgeladenen kreativen Prozess selbst erneuern. Indem sie Neues hervorbringen, entsteht aber auch die Notwendigkeit das neu Hervorgebrachte zu schützen, zu nähren und zu pflegen.

Die Analogie zu Kindern, die wir aufziehen, ist offensichtlich. Aber auch hier lohnt es sich danach Ausschau zu halten, wie das, was wir im Austausch zwischen Geist und Materie, zwischen Ruhe und Bewegung, zwischen Kontemplation und Aktion entstehen lassen, nach seiner Entstehung behandeln.

Wie weit reicht unser Blick auf die Folgen unseres täglichen Tuns? Sind wir uns bewusst darüber, dass das, was wir in unserem Leben hervorbringen (im Guten wie im Schlechten) eine Wirkung weit über unsere Person und unsere Lebenszeit hinaus hat?

Auf welche Weise wollen wir für das Sorge tragen, was wir an wertvollen Impulsen in die Welt gesetzt haben, damit es gedeihen und wirken kann? Wie können wir dafür sorgen, dass das, was wir hervorgebracht haben, eine würdevolle und für andere nützliche Existenz führt? Hat das, was ich in meinem Leben entstehen lassen habe, genügend Rückhalt von mir bekommen, dass es selbst wiederum zum kreativen Prozess beitragen kann?

6. Die Einheit der Zwei

Rekapitulieren wir noch einmal:

  • wir haben eine stabile Grundlage durch unsere emotionale Autonomie.
  • Wir haben ein starkes „Ich“ durch die Verortung in unserer sexuellen Identität.
  • Dies befähigt uns dazu, mit dem „Anderen“ (allem, was anders ist) in polare Kommunikation zu treten.
  • Aus dem Austausch mit dem Anderen und der Verbindung dieser Gegensätze entsteht etwas Neues, in dem „Ich“ und „Nicht-Ich“ (der/das Andere) gleichermaßen enthalten sind.
  • Schließlich gelingt es uns, diese Integration von Ich und Nicht-Ich zu einem eigenständigen Leben zu begleiten und in der Welt zu etablieren.

Was ist das anderes als Einheit? Ein Gefühl von Nicht-Getrennt-Sein, Transzendenz des eigenen getrennten Ich in das Sein in der Welt. Ich und Du sind kein Gegensatz mehr, sondern identisch. Was ich Dir zufüge, tue ich auch mir – im Guten wie im Schlechten.

Wir kommen aus der Einheit (Symbiose mit der Mutter), separieren uns, werden stark und autonom, verbinden uns mit dem Anderen und fließen letztlich – mit gewachsener, größerer Bewusstheit – in selbst erschaffenener Einheit zusammen.

Das ist das Potenzial, das in einer Ehe vorhanden ist.

Wie weit wir es ausschöpfen, ist letztlich von uns selbst abhängig.

Auf jeder Stufe gibt es Arbeit zu tun. Bei jedem Vorwurf, den wir gegen den anderen hegen, können wir uns darauf besinnen, auf welcher Stufe wir gerade selbst fest hängen. Wo uns der Andere Schwierigkeiten zu bereiten scheint, ist die eigene Entwicklung noch nicht vollständig. So werden die Schwierigkeiten, die wir mit dem Partner haben, zu wirkungsvollen Hinweisen, wo unser eigenes Entwicklungspotential liegt.

Und schließlich beantworten wir vielleicht lieber die Frage: „Was kann ich für Dich tun?“ als: „Was kannst Du für mich tun?“, weil wir wissen dass es keinen Unterschied macht, außer dass es uns weitet anstatt uns zu verengen.

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