Keine Antwort schuldig bleiben

Ohnmacht in Beziehungen auflösen

Kennen Sie den Zustand der Ohnmacht? In vielen Auseinandersetzungen fühlt sich mindestens einer von beiden als Opfer des anderen. Dieser Ohnmachtszustand äußert sich in Gedanken...

Kennen Sie den Zustand der Ohnmacht? In vielen Auseinandersetzungen fühlt sich mindestens einer von beiden als Opfer des anderen. Dieser Ohnmachtszustand äußert sich in Gedanken wie: „Immer bin ich schuld.“ „Ich halte es hier nicht mehr aus.“ „Ich muss hier weg.“

Das Gegenteil des ohnmächtigen Opferseins ist vollkommene Freiheit. Wer sich wünscht, dem Opferzustand zu entkommen, gibt sich jedoch leicht der Illusion hin, dass das Abbrechen von Beziehungen Freiheit bedeute. Vollkommene Freiheit ist aber auch die Abwesenheit jeglicher Verbundenheit. Außerdem ist die Abwesenheit von Beziehung keine Garantie für das Entkommen aus der Ohnmacht. Manch einer fühlt sich dann ohnmächtig, weil er/sie keinen neuen Partner findet...

Wie sieht ein gesunder Zustand aus, in dem sowohl Bezogenheit auf einen Anderen als auch unabhängiges Handeln integriert sind?

[figure class="c-figure c-figure--right" caption="Goldmarie... - Foto: tin.klein"]Goldmarie...[/figure]

Ich nenne diesen Zustand Verantwortung. Ein Zustand, in dem sich emotionale Autonomie und die Fähigkeit, in jedem Moment den Anforderungen des Lebens angemessen zu antworten, die Waage halten. Direkte, urteilsfreie Antworten sind nicht im Bereich des Grübelns zu finden. Genauso wenig sind sie so genannte Bauchentscheidungen, die aus meiner Sicht häufig eine moderne Verkleidung für Egoismus sind.

Verantwortung bedeutet unvorbereitete, frische Antworten im Moment des Erscheinens einer Aufgabe zu finden. Eine gute Anleitung dazu bietet das Märchen „Frau Holle“ (https://www.garten-literatur.de/Leselaube/grimmholl.htm), dass auch unter dem Namen „Goldmarie und Pechmarie“ bekannt ist.

Das Mädchen, das später mit Gold belohnt wird, antwortet spontan auf die Bedürfnisse seiner Umwelt, während es in der Traumwelt von Frau Holle unterwegs ist. Die Schwester, die vom Neid gepackt (das ist der Opferzustand) denselben Weg zu gehen versucht, hastet dagegen achtlos am verbrennenden Brot und dem Baum voll reifer Äpfel vorbei. Sie erkennt nicht, dass ihr vermeintlich unabhängiges Handeln ihr genau das Paradies verwehrt, nach dem sie strebt.

[figure class="c-figure c-figure--right" caption="Pechmarie... - Foto: tin.klein"]Pechmarie...[/figure]

Was steht uns im Weg bei der Umsetzung spontaner Verantwortung? Darauf gibt es eine kurze Antwort: Das Ich. Der Zustand spontaner Verantwortung ist geprägt von einer Abwesenheit des Ich-Bezugs. Verschwunden sind das Verlangen nach einem bestimmten Ergebnis, die Furcht vor besonderen Folgen unseres Handelns, die Beschäftigung mit Vergangenem und Zukünftigem. Im Moment spontaner Verantwortung gibt es kein Ich, das handelt, sondern nur noch das Handeln selbst.

Ohnmacht ist die Folge eines zu starken Ich-Bezugs, der die spontane Antwort unmöglich macht. Die Blockade findet in eigener Regie statt und nicht wie häufig geglaubt, durch das, was der andere sagt oder tut. Wenn ich in den Vorwürfen meiner Frau hängen bleibe, ist es nicht ihre Schuld. Ich habe lediglich einen weiteren Punkt gefunden, an dem ich ein gekränktes Ich aufrechterhalte.

Aber: Wir können untersuchen, welche spontane Antwort wir unterdrückt haben.

Die Kränkung und das Ohnmachtsgefühl entstanden erst, nachdem wir diese Antwort geleugnet haben. Damit haben wir uns selbst geleugnet und ins Abseits gestellt. Wenn es überhaupt notwendig ist, jemandem die Schuld zu geben, lohnt sich ganz bestimmt an dieser Stelle der Blick nach innen.

Ein weiterer Punkt ist wichtig zu untersuchen: Welchen Sinn erfüllt eigentlich ein gekränktes und beleidigtes Ich? Wir verwenden soviel Zeit und Kraft darauf, Beleidigtsein, Gekränktsein, Opfersein aufrecht zu erhalten. Wem dienen diese Zustände?

Und einmal mehr kommen wir zu der erstaunlichen Erkenntnis, dass sie gerade dem Ich dienen, das uns die Schwierigkeiten bereitet. Es versucht sich stärker abzugrenzen, um etwas besonderes zu sein – anders zu sein. Und warum wollen wir unbedingt etwas anderes sein? Anders als wer? Anders als was? Was passiert, wenn wir nicht mehr anders sind? Was passiert, wenn das Ich verschwindet?

Was passiert, wenn das Ich verschwindet, aber das Leben noch da ist?

Wie erleben wir das Leben, wenn dass sich abgrenzende Ich allmählich verschwindet und nur noch direkte Wahrnehmung bleibt?

Was geschieht mit der Ohnmacht?

Sie verschwindet im selben Maße wie das Ich.

Was geschieht mit der Freiheit?

All inclusive!
Spontane Verantwortung?
Spontane Verantwortung.

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