Männer am Abgrund

Mehr Präsenz statt Leistung

Was kann ein Mann tun, um nicht in den Sog der allgegenwärtigen Egotrips und Neiddebatten hineinzugeraten und sich stattdessen auf einen selbstgewählten Kurs der...

Was kann ein Mann tun, um nicht in den Sog der allgegenwärtigen Egotrips und Neiddebatten hineinzugeraten und sich stattdessen auf einen selbstgewählten Kurs der Lebensfreundlichkeit zu setzen?

Auch wenn ich ab und zu Beschwerden erhalte, dass das eMagazin zu "männerlastig" sei, geht es diesmal wieder um ein schwerpunktmäßiges Männerproblem. Aus den Erlebnissen der Paarberatungen der letzten Jahre muss ich ohnehin immer wieder betonen: Beziehungen lassen sich nur retten, wenn die Männer es wollen und selbst(!) rechtzeitig(!) in die Hand nehmen. (Das ist, wie es in der Mathematik heißt eine notwendige aber keine hinreichende Bedingung. In anderen Worten: Mann sollte nicht erst was merken, wenn seine Frau ausgezogen ist.)

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Männer verlaufen sich im Machen.

Eine Leistungsgesellschaft stellt an oberste Stelle natürlich Leistung. Ihr ist es ein Greuel, Menschen anzuerkennen, einfach nur, weil es sie gibt. Das sollten sich alle Eltern überlegen: "Liebe ich mein Kind, weil es existiert, oder weil es etwas leistet?" Die Maximen der Leistungsgesellschaft haben wir so verinnerlicht, dass wir sie nicht sehen, geschweige denn in Frage stellen. Schon kleine Jungs werden darauf getrimmt, das sie Leistung zeigen müssen, um Anerkennung zu bekommen. Insbesondere Väter sind großartig in der Grausamkeit, Kinder auf erfolgreiche Leistungen zu reduzieren und dabei Bemühungen und Kreativität zu ignorieren oder sogar abzuwerten.

Werden diese Jungs groß und agieren in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, diffamieren sie gerne andere Menschen mit dem Vorwurf des Schmarotzertums. Je geringer das Selbstvertrauen, desto gefühlloser die Angriffe auf andere. Die, die sich nicht selbst anerkennen können, befinden sich im permanenten Wettkampf mit anderen.

Was passiert in einer Gesellschaft, in der vor allem auf den eigenen Rang und den eigenen Profit geschaut wird? Man muss nicht Nostradamus sein, um die Frage zu beantworten: Hier ist die eigentliche Dekadenz unserer Zeit zu beobachten und sie führt dazu, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt schwindet, denn eine Gesellschaft wird entweder durch Macht oder durch gegenseitige Fürsorge zusammengehalten.

Führung und Vertrauen

Ein grundlegendes Hindernis ist das tief verwurzelte Misstrauen von Männern gegenüber anderen Männer. Möglicherweise eine Folge jahrtausendelanger patriarchaler Kultur: Trau keinem anderen Mann, denn er könnte dich dominieren oder sogar umbringen wollen.

Eine weitere Wurzel ist das Verhältnis zum eigenen Vater. Die Aufarbeitung der eigenen Vaterbeziehung (sofern sie denn geschieht) führt meist durch ein Tal der Tränen: von fehlender Unterstützung, über Mangel an Anerkennung, zynische Abwertung bis hin zu körperlicher Gewalt reicht das Repertoire der pathologischen Vater-Sohn-Beziehungen, deren Schatten in fast alle Paarbeziehungen und Familien hineinregiert.

Der Machtkampf mit anderen Männern ist eine Verlagerung des Machtkampfes mit dem eigenen Vater. Sich dem eigenen Vater unterordnen zu können, fordert von dessen Seite eine Aufmerksamkeit und Fürsorge, um diesen Vertrauensbeweis möglich zu machen. Fehlt das grundlegende Vertrauen, dann regieren Angst und Zorn und werden später verlagert in den Kontakt mit nahezu jedem anderen Mann.

Das Ergebnis solch einer -- mangels Vergleichsmöglichkeiten als ganz normal bezeichneten -- Kindheit sind paranoide und/oder zornige junge Männer, die einen Platz in der Gesellschaft suchen. In einer Gesellschaft von potentiellen Feinden. Sie tun also das, was sie mit Feinden tun müssen: sie kämpfen mit ihnen. Sie kämpfen gegen einen imaginären Feind, von dem sie nicht wissen, dass er in ihrem Inneren sitzt und daher werden sie ihn nie los.

Die Angst vor Mißbrauch, vor Verletzung, vor falschen Idealen und vor Verurteilung und Abwertung verbindet sich mit der Sprachlosigkeit zwischen Vätern und Söhnen. Sehr genau beschreibt dies der norwegische Autor Kjell Ola Dahl in seinem Roman Schwarzes Gold). Vertrauen: Fehlanzeige. Nur - wo kein Vertrauen ist, entstehen Kontrollbedürfnisse - hoppla, jetzt gehen die Augen auf - muss unsere Gesellschaft wirklich immer mehr und immer flächendeckendere Kontrolle und Überwachung installieren? Wegen internationalen Terrorismus'? Wegen jugendlicher S-Bahn-Schläger?

Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Das auf "Bedrohungen" von außen projizierte Bedürfnis, den inneren Terror durch nicht aufgearbeiteter emotionaler Angelegenheiten zu kontrollieren, zieht einen kollektiven Überwachungswahn nach sich. Dieser bleibt vollkommen blind für den Feind im Inneren: Angst, Zorn und Sprachlosigkeit.

Könnten wir die Bedürftigkeit von Jungen anerkennen, dann müsste die Eiterbeule verkorkster Vater-Sohn-Beziehungen endlich platzen. Doch weil an einem Tabu nicht gerüttelt werden darf, verweigert sich die Gesellschaft immer wieder, Verantwortung für Jungen, junge Männer und deren Handeln zu übernehmen. Männer trauen sich nicht mehr Kinder großzuziehen und die Erziehung von Jungs wird im Kindergarten und den grundschulen komplett den Frauen überlassen. Niemand stellt solche Fragen:

  • Wo ist unsere gesellschaftliche Fürsorge für von ihren Vätern im Stich gelassenen Kindern?
  • Weshalb bezahlen wir Grundschullehrern so wenig Geld, dass nur noch Frauen bereit sind, diese Arbeit zu verrichten?
  • Was wird aus kleinen Jungs, die permanent von den Männern der Gesellschaft allein gelassen werden?
  • Warum werden nicht Ersatzväter bezahlt, um diese tickenden Zeitbomben zu entschärfen?
  • Wie kommt es, dass 90% des Internets aus Sexverkauf bestehen und 100 % der Konsumenten Männer sind?
  • Wie müssten Priester erzogen werden, damit sie ihre sexuellen Bedürfnisse nicht mehr an ihren Schülern ausleben?
  • Wofür ist es wichtig, permanent die Produktivität zu erhöhen und menschliche Anwesenheit überflüssig zu machen?

Und der Ausweg? Für einen Ausweg braucht man eine Positionsbestimmung. Wenn Sie sich eine Skala zeichnen, in der links "Angst" steht und rechts "Vertrauen" - wo stehen Sie? Und wie sieht es aus

  • auf der Skala von "Angst" zu "Lebendigkeit"?
  • auf der Skala von "zornig" zu "liebevoll"?
  • auf der Skala von "Ich bin mit meinem Vater nicht im Reinen" zu "ich bin ein liebevoller und fürsorglicher Vater"?
  • auf der Skala von "sprachlos" zu "ein guter Ehemann"?

Ausgehend von dieser Position, können Sie Ziele festlegen. Schauen Sie dieselben Skalen an und legen Sie die jeweilige Zielmarke fest. Gibt es Abweichungen zwischen beiden Werten? Dann wissen Sie die Richtung in der es weitergehen sollte. Jetzt können wir endlich über das sprechen, was wirklich wichtig ist.

Was wollen Sie hinterlassen, wenn Ihr Leben zuende geht?

Verbrannte Erde, unglückliche Kinder, unerledigte emotionale Angelegenheiten mit anderen? Oder eine gute Erinnerung, eine Idee, die andere inspiriert, ein Bild, zu dem man ab und zu schaut, um sich zu besinnen: "Was hätte er jetzt gesagt/getan"? Möglicherweise sogar ein Werk, das wächst und gedeiht und vielen Menschen Nutzen bringt?

In uns allen sitzt die Sehnsucht, Spuren zu hinterlassen. Manchmal wird dies über die Kinder ausgelebt. Manche erleben es erst mit den Enkelkindern, dass hier das Leben weitergeht, während wir zurückbleiben. Ein chinesisches Sprichwort sagt: Der Schüler fragt den Lehrer: Was ist Glück? Und dieser antwortet: Der Großvater stirbt, der Vater stirbt, der Sohn stirbt."

Warum ist das Glück? Weil so das Leben angelegt ist. Wäre die Reihenfolge anders, hätten Krieg oder Krankheit den natürlichen Fluss unterbrochen. Ich frage mich, ob es irgendeinen ernsthaften alten Menschen gibt, der sich wünschen würde, sein Leben zu verlängern, wenn dafür das Leben eines Kindes entsprechend gekürzt werden müsste.

Wir wollen etwas Lebendiges hinterlassen. Etwas Lebendiges, das bleibt, wenn wir sterben. Statt steinerner Denkmäler einen Eindruck hinterlassen, der das Leben weiterträgt. Es müssen keine leiblichen Kinder sein. Aber mir ist eine Frage in Erinnerung, die aus dem Kulturkreis der nordamerikanischen Indianer stammt. Was muss ich jetzt tun, damit die siebte Generation nach mir etwas davon hat? Was brauchen diese Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Enkel, die es noch gar nicht gibt, wofür ich aber jetzt schon die Saat in der Erde bringen muss? Wir haben dieses generationenübergreifende Denken schon fast vollständig aufgelöst. Die Folge sind die zerstörten Urwälder, vergiftete Gewässer, von wachsenden Wüsten ausgedörrte Landstriche.

Mein Aufruf für heute: Egoismus ist tot und langweilig. Machen Sie ein Kunstwerk, ein Gedicht oder einen Gesang aus Ihrem Leben, das noch die Menschen sieben Generationen nach Ihnen berührt.

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