Trennung auf Zeit
Klarheit für Beziehungskrisen
Für die meisten Menschen wäre das Ende ihrer Partnerschaft eine Katastrophe. Auch deshalb herrscht häufig eine Kopf-in-den-Sand-Haltung vor, wenn es eigentlich darum gehen würde, die Partnerschaft auf den Prüfstand zu stellen und gegebenenfalls „in die Werkstatt zu bringen“.
Das Scheitern einer Ehe wird in der Regel auch als ein persönliches Scheitern empfunden. Gescheitert mit einem Projekt, das in unserer Vorstellung zu den selbstverständlichsten Fähigkeiten aller Menschen zu gehören scheint, über die man nicht nachdenken müssen sollte. Dazu kommt die Verunsicherung bezüglich der Zukunft und vor allem die Sorge um die Zukunft der Kinder.
Aber für manche Paare kommt irgendwann der Zeitpunkt, an dem über Trennung nachgedacht wird. Zunächst taucht der Gedanke nur im Hinterkopf als eine Möglichkeit auf, die sofort verworfen wird. Doch irgendwann scheint eine Trennung der einzige mögliche Weg, der bleibt.
Spricht dann einer von beiden die Idee einer Trennung aus, kann allein der geäußerte Gedanke eine machtvolle Wirkung entfalten. Selbst wenn die Trennung nur aus Verzweiflung und Hilflosigkeit ins Spiel gebracht wird, kann sie beim anderen als bereits vorbereitet und innerlich vollzogen verstanden werden.
An dieser Stelle lässt sich eine dämpfende Wirkung erzielen, indem man über eine „Trennung auf Zeit“ ins Gespräch kommt.
Worunter leiden die Paare, mit denen ich eine Trennung auf Zeit bespreche?
Stillstand
Es geht in der Beziehung nicht mehr vor und nicht zurück, beide „belauern“ sich gegenseitig. Wer sich zuerst bewegt hat verloren. Wenn einer von beiden etwas sagt, wird es garantiert falsch verstanden, also sagen wir lieber nichts.
Dauerstreit
Kleinigkeiten eskalieren in Windeseile und eigentlich versteht keiner von beiden, was da passiert. Gleich wer versucht ein Gespräch anzufangen, jeder Versuch der Annäherung wird als Angriff empfunden und erzeugt umgehend einen Gegenangriff. In jedem Fall aber muss es ja einen Verantwortlichen geben und das ist das Gegenüber.
Gleichgültigkeit/Langeweile
Was die Partner einander überhaupt noch mitteilen, wird mit Gleichgültigkeit quittiert. Es löst kein Gespräch, kein Interesse, keine Nachfrage mehr aus. Wenn einer dem Anderen etwas sagt, gibt es weder Abwehr noch Zustimmung, vielmehr fällt die Mitteilung in einen bodenlosen Raum der Ignoranz.
Ignoranz ist Trennung nach innen. Statt dass man aktiv die Kommunikation gestaltet, wird die Beziehung unterbrochen. Eine Trennung im Außen wäre dann eigentlich nur noch die Realisierung des tatsächlichen Zustandes. Manchmal bedarf es des Anstoßes durch diese Realisierung, damit auch derjenige Partner wach wird, der den Zustand der Ehe hartnäckiger ignoriert.
Die Möglichkeiten, die eine Trennung auf Zeit bietet
Ich habe in verschiedenen Beratungsfällen gute Erfahrungen damit gemacht, eine Trennung auf Zeit oder Trennung auf Probe zu vereinbaren. Taucht diese Idee im begleiteten Beratungsgespräch auf, lässt sich sofort die emotionale Reaktion einfangen und man kann Befürchtungen und Bedenken gegen Möglichkeiten abwägen.
Im Dialog miteinander lassen sich ganz unterschiedliche Szenarien entwickeln. Die Ergebnisse reichen dann von Erleichterung durch die neue und geklärte Situation bis hin zu einer Erfahrung, dass die Beziehung, die man verlassen hat doch einen erheblichen Stellenwert hat und deshalb wieder fortgesetzt werden soll.
Natürlich kann es auch dazu kommen, dass beide Partner erkennen, dass ihnen die getrennte Lebenssituation mehr zusagt. Dann lässt sich im nächsten Schritt die Trennung komplett vollziehen. Auch das hat einen Vorteil, weil beide schon mit der Erfahrung, dass es ihr Leben nicht zerstört, in die endgültige Trennung hineingehen.
Trennung auf Zeit als Erleichterung für beide
Eine temporäre Trennung kann wie eine Art Faktencheck auf die Beziehung wirken. Man realisiert plötzlich, wie weit die innere Entfernung ohnehin schon war, indem man sie im Außen sichtbar macht.
Beide Partner müssen sich jetzt unabhängiger vom anderen erleben und wahrnehmen. Sie können dadurch genauer erspüren, welche Bedeutung die Beziehung für sie hat oder gehabt hat. Sie können untersuchen, was ihnen ohne den Partner/die Partnerin fehlt, aber auch welche Freiheit und welcher Raum entsteht.
Zu den Vorteilen der Trennung auf Zeit gehören sicher folgende Erfahrungen:
Die Verbundenheit wieder wahrzunehmen
Indem die Distanz zwischen beiden erhöht wird, steht die Anziehungskraft auf dem Prüfstand. Fehlt mir der andere? Wenn ja, was genau fehlt mir? Kann ich mir vorstellen, darüber zu sprechen?
Neue Gemeinsamkeiten finden
Nach 15 oder 20 Jahren Ehe, der Gründung einer Familie und dem Großziehen der Kinder haben sich auch gut eingespielte Partner häufig auseinander gelebt. Jeder hat seine Pflichten und Verantwortlichkeiten ernst genommen und auf diese Weise zur Familiengemeinschaft beigetragen. Doch die Aufmerksamkeit für die Paarbeziehung ist auf der Strecke geblieben, die Pflege gemeinsamer Interessen ist zu kurz gekommen.
Eine Trennung auf Zeit bietet die Möglichkeit, in eine Art Experimentierstadium zu gehen. Man ist nicht richtig zusammen; man ist nicht richtig getrennt; man muss sich wieder mehr bemühen, den Anderen in seiner Art zu verstehen. Etwas Gemeinsames findet nur statt, wenn es aktiv erzeugt wird.
In dieser Situation kann ein ähnliches Gefühl entstehen, wie wir es zu Beginn einer Beziehung kennen. Ein bisschen Unsicherheit, ein bisschen Flirt, ein bisschen verliebt sein und das Ganze auf einer Grundlage des Vertrautseins.
Die Familiensituation entspannen durch eine Trennung auf Probe
Nicht zuletzt kann die Familiensituation erheblich entspannen, wenn der elterliche Streit nicht mehr in den Ohren der Kinder landet. Zuständigkeiten sind eindeutiger verteilt und man kommt nicht mehr über Kleinigkeiten in ewige Auseinandersetzungen.
Freiheit wagen
Lebendige Beziehung lebt vom Wagnis der Freiheit. In einer Zeitschrift habe ich einmal einen Cartoon gesehen. Es waren darin zwei Hinweisschilder abgebildet wie man sie an Gartentoren findet. Auf dem einen stand der bekannte Satz „Ausfahrt freihalten“. Dieses Schild war mit einem roten Kreuz durchgestrichen. Auf dem anderen stand: „Freiheit aushalten“.
Die Geheimnisse glücklich verheirateter Männer
Gleichgültigkeit, Streit und Stillstand sind Zustände, die unter normalen Bedingungen mit einer Auffrischung der kommunikativen Fähigkeiten beendet werden könnten. Das setzt aber voraus, dass noch genügend Beziehungsenergie vorhanden ist und auf beiden Seiten zumindest der Wunsch nach aktiver Veränderung besteht. Wenn sich ein Paar jedoch schon zu lange in einem dieser Zustände befindet. Manchmal wechseln sie sich auch gegenseitig ab. Wenn jedoch nicht genügend Beziehungsenergie vorhanden ist, hat häufig mindestens einer von beiden schon die Idee, dass das Leben ohne den Anderen ein leichteres Leben wäre.
Nun kommt im Laufe einer langjährigen Beziehung wahrscheinlich jedem Mann und jeder Frau irgendwann einmal der Gedanke an eine Trennung. Er ist für sich nicht verwerflich, weist er doch darauf hin, dass in der Beziehung etwas im Argen liegt. Setzt sich diese Idee jedoch fest, während gleichzeitig ein Scheitern im Beziehungsmodell nicht vorgesehen ist, erzeugt sie einen erheblichen Druck.
Es kann einem Paar diesen Druck nehmen, wenn es gemeinsam beschließt eine vorläufige Trennung vorzunehmen und sie entsprechend zu gestalten. interessanterweise ist an die Gestaltung der Trennung auf Zeit ein gemeinsames (und damit verbindendes) Projekt.
Reaktion des Umfelds einkalkulieren
Freunde und Verwandte sind nicht automatisch Unterstützer einer Trennung auf Zeit. Es wäre naiv anzunehmen, dass sie im familiären Umfeld oder auch im Freundeskreis durchgehend als eine gute Idee und ein möglicher Weg zu einer anderen gemeinsamen Zukunft wahrgenommen wird. Vielmehr ist es wahrscheinlicher, dass die meisten Verwandten und Freunde mit Ablehnung oder mindestens mit Unverständnis darauf reagieren werden.
Man begibt sich mit solch einer Entscheidung in ein Feld „unmoralischen“ Verhaltens. Unter Moral verstehe ich dabei das, was „man macht“ und dementsprechend enthält unmoralisches Verhalten das, „was man nicht macht“.
Moralische Ermahnungen kommen gerne dann zum Einsatz, wenn jemand sich mehr Freiheit erlaubt als diejenigen, die den Zeigefinger heben. Denn das Nutzen der eigenen Möglichkeiten und Freiheiten fordert das Gegenüber heraus, sich mit dem auseinanderzusetzen, was es sich selbst nicht erlaubt.
Ohne Mut gibt es keine Freiheit. In dem Maße also, in dem sich das (familiäre) Umfeld trotz eigener Paarprobleme und möglicher verdeckter Wünsche, sich zu trennen, die Freiheit einer Trennung auf Zeit nicht erlaubt, wird es vermutlich dagegen argumentieren.
Was auch immer die Gründe dafür sein mögen: Sicherheitsbedürfnis, religiöse Motive, Angst vor dem Alleinsein... Diejenigen, die es sich nicht erlauben, außerhalb der gängigen Vorstellungen zu agieren, wenden sich gegen diejenigen, die den Mut dazu haben.
Den Neuanfang vorbereiten
Die Trennung auf Zeit soll beiden Partnern eine Chance bieten, dass man sich als Paar wiederfindet. Dazu ist es hilfreich sich eine Struktur einzurichten, die den Austausch miteinander in Gang halten kann. Trotz getrennter Wohnorte soll ja die Teilnahme am Leben des anderen nicht eingestellt werden. Vielmehr geht es darum wieder eine klare Trennung zwischen Alleinsein und Zusammensein herzustellen.
Es geht um die Differenzierung von Autonomie und Verbundenheit. Diese beiden Qualitäten sind in einer guten Beziehung beide ausreichend vorhanden und wechseln sich in besonderer Weise ab. In Partnerschaften, die in die Krise geraten sind, wurde höchstwahrscheinlich von mindestens einem der beiden Partner nicht darauf geachtet, die Pole von Autonomie und Verbundenheit gleichermaßen zu wertschätzen.
Sowohl Autonomie als auch Verbundenheit können in einer Paarbeziehung zu stark betont werden. Manchmal wird die Autonomie übertrieben und zur Egozentrik übersteigert, manchmal wird aus der Verbundenheit eine Symbiose, aus der früher oder später einer von beiden ausbrechen muss, weil es zu eng wird und die Luft zum Atmen fehlt. Das sind die Situationen, in denen eine vorübergehende Trennung heilsamen frischen Wind in die Partnerschaft blasen kann.
Der gesunde Wechsel von Nähe und Distanz erhält die Paarbeziehung. Wenn es dem Paar gelingt, durch eine Trennung auf Zeit einen gesunden Wechsel zwischen gemeinsamen Zeiten und individuellem Rückzug herzustellen, können beide Partner nach einer gewissen Gewöhnungszeit die neu erworbenen Fähigkeiten auch wieder unter einem gemeinsamen Dach unter Beweis stellen.
Vereinbarungen treffen
Der wesentliche Unterschied einer geordneten Trennung auf Zeit zu einer Hals-über-Kopf-Aktion ist die Bereitschaft beider Partner, Vereinbarungen zu treffen. Diese Vereinbarungen sollten alle wesentlichen Aspekte der Beziehung und der Familie umfassen. Sie sollen einen Rahmen schaffen innerhalb dessen die Erfahrung der Polarität von Autonomie und Verbundenheit einen sicheren Raum hat.
Zu den wichtigsten Punkten, über die sich das Paar absprechen sollte, gehören folgende:
- Wie wird Erreichbarkeit gewährleistet, um familiäre Absprachen treffen zu können?
Meine Empfehlung: Feste Telefonzeiten, E-Mail oder Textnachrichten. - Auf welche Inhalte sind E-Mails und Textnachrichten begrenzt?
Meine Empfehlung: Alles was es an Beziehungsauseinandersetzung gibt nur im direkten, persönlichen Gespräch miteinander austauschen. - Was ist mit dem Treueversprechen, das ja in den meisten Beziehungen ausgesprochen oder unausgesprochen gilt? Gilt es weiter oder nicht?
Meine Empfehlung: Es sollte genau das gelten, was bisher vereinbart gewesen ist. Der Grund dafür ist wiederum, dass es einen geordneten Raum geben soll, in dem vor allem mit der Polarität von Autonomie und Verbundenheit experimentiert wird. Sexualität bringt eine Energie hinein, die für die allermeisten nicht mehr zu halten ist. - Wie wird Kontakt gehalten?
Meine Empfehlung: Gesprächstermine vereinbaren. Es ist hilfreich, wenn es feste Zeiten gibt, zu denen sich das Paar trifft. Ort und Rahmen lassen sich variieren. Es geht hierbei um die Eindeutigkeit der Zeiten, die man gemeinsam oder allein verbringt.
Diese nur einige Vorschläge. Das Paar sollte ein offenes Gespräch über diese Vereinbarungen nicht scheuen. Sie sind eine große Hilfe.
Was geschieht mit den Kindern?
In vielen Fällen sind bei einer vorübergehenden Trennung auch Kinder mit betroffen. Je nach Alter müssen sie angemessen informiert werden. Kleineren Kindern wird man hier sagen, was die Großen entschieden haben.
Ältere Kinder werden eventuell Nachfragen und Hintergründe wissen wollen. Aus meiner Sicht ist die Paarbeziehung eine Angelegenheit der Eltern und je weniger die Kinder eingeweiht werden (auch wenn sie darauf bestehen), desto mehr liegt die Verantwortung bei den Eltern und die Kinder bleiben entlastet. Der Umstand des Verzichts auf die Präsenz eines der beiden Elternteile wiegt schwer genug.
Zu besprechen bleibt also:
- Wer zieht aus und wohin?
- Wie ist die Betreuung der Kinder gewährleistet?
- Welchen Zeitraum hat sich das Paar für dieses Experiment eingeräumt? Die Kinder - ebenfalls wieder abhängig vom Alter - sollten über diesen Zeitrahmen informiert werden.
Gibt es eine Erfolgsgarantie?
Die Trennung auf Zeit ist ein gemeinsames Projekt zur Überprüfung einer Paarbeziehung. Sie erfordert Mut und die Bereitschaft zu Offenheit. Beide Partner sollten offen ihre Befürchtungen äußern und daraus gemeinsame Vereinbarungen entwickeln. Wenn sie sich dann noch gegenseitig darüber berichten, welche Licht- und Schattenseiten ihnen durch die temporäre Trennung sichtbar werden, steht einer ehrlichen Bewertung der Fortsetzung der Ehe oder Beziehung nichts im Wege.
Manchmal wird erkannt, dass das Getrenntleben mehr Leichtigkeit ins Leben bringt; manchmal wird erkannt, wie tief die Verbundenheit ist und dass die Auseinandersetzungen im Alltag von geringerem Gewicht sind. Beide Ergebnisse sind gleichwertig.
Erfolgreich ist die Trennung auf Zeit also in jedem Fall, da sie Klarheit erzeugt über den weiteren Weg.
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