Auseinander gelebt

Trennung ohne Groll

Eine Trennung wird häufig mit dem Satz begründet: „Wir haben uns auseinandergelebt.” So wahr dieser Satz ist, so hilflos klingt er auch. Das Wort auseinandergelebt ist die...

Eine Trennung wird häufig mit dem Satz begründet: „Wir haben uns auseinandergelebt.” So wahr dieser Satz ist, so hilflos klingt er auch. Das Wort auseinandergelebt ist die Zusammenfassung für einen Vorgang, der häufig schon über Jahre andauert.

„Wir haben uns auseinander gelebt” — das bedeutet zum Beispiel:

  • „Wir haben zu verschiedene Vorstellungen davon, wie wir mit unseren Kindern umgehen sollen.”
  • „Wir sind uns nicht einig, welche Rolle der Beruf und die Karriere haben soll/darf.”
  • „Wir können uns nicht darüber verständigen, wie viel Zeit wir gemeinsam verbringen und was wir damit anfangen.”
  • „Wir wissen nicht, was außer unseren Kindern und unserem Besitz uns noch verbindet.”
  • „Wir finden unsere Gefühle füreinander nicht mehr.”

Je genauer benannt wird, worin der Mangel besteht, desto leichter fällt die Lösung. Das Problem dabei ist, dass der Schmerz zunimmt, je spezifischer das Leiden benannt wird. Es kann Ihnen beispielsweise klar werden, wie lange Sie bestimmte Bedürfnisse und Wünsche schon unterdrückt haben. Oder Sie bemerken, wie wütend Sie wirklich darüber sind, dass Ihnen nie richtig zugehört wird. Oder Sie fallen in ein Loch von Bedeutungslosigkeit, wenn Sie sich klar machen, dass Sie seit zwanzig Jahren ausschließlich für die Karriere oder für die Familie gerackert haben.

Wie lässt sich die Trennung einer langjährigen Beziehung vermeiden? Manche Ehe ist wie eine Bergwanderung, auf der einer müde wird und der andere noch weiter hinauf gehen will. Dann muss man Abschied nehmen, auch wenn es beiden weh tut. Wenn die Analyse der Bedürfnisse und der Mängel gründlich und genau gewesen ist, lässt sich aber auch bestimmen, ob der Partner wirklich dafür zuständig ist, diese zu erfüllen. In vielen Partnerschaften ist es dagegen so, dass beide Seiten nicht richtig für sich selbst sorgen und dem anderen die Schuld dafür geben. Das ist aber nur scheinbar bequemer.

Bequemlichkeit und Angst müssen überwunden werden, wenn man eine in die Krise geratene Ehe wieder flott machen will. Die Angst davor, sich eine Blöße zu geben; die Angst davor, die Gefühle des Lebenspartners ohne Filter präsentiert zu bekommen; die Angst davor, dass man sein eigenes Leben umstellen muss, wenn einem die Liebe wichtig ist. Bequemer ist es, in der eigenen Komfort-Zone sitzen zu bleiben, sich genau so zu verhalten wie immer, und vom anderen zu erwarten, dass er sich ändert. Die Trennung lässt sich am besten vermeiden, wenn Mann und Frau die Bereitschaft haben, Verantwortung zu übernehmen und ihre inneren Haltungen neu zu justieren.

Ein Neustart erscheint manchmal als die einzige Option. Zu fest sind die alten Spuren eingegraben, zu gering ist das Zutrauen, dass sich noch einmal grundlegend etwas ändert. Die Erkenntnis tut weh und wird so lange wie möglich ignoriert. Dann werden stärkere Geschütze aufgefahren, der Mann hat auf einmal eine Geliebte auf, oder die Frau zieht plötzlich mit den Kindern aus. Meist scheint es einem von beiden, als ob es keine Vorwarnzeit gegeben hätte.

Gewarnt wird in den meisten Fällen. Aber es geschah nichts: der andere hat die Warnung nicht verstanden, weil sie nicht klar genug war; er wollte nicht verstehen, weil er nicht wusste wie er reagieren sollte; oder er hat es nicht wahrgenommen, weil er von seinen eigenen Angelegenheiten völlig in Beschlag genommen war.

Die meisten Menschen, die sich im Trennungsprozess befinden, empfinden Wut oder Enttäuschung oder beides. Im wahrsten Sinne des Wortes bricht eine Welt zusammen. Eben wurde noch gemeinsam geplant, entschieden, gelebt — und nun ist jeder wieder auf sich gestellt. Man will das Scheitern nicht und auch nicht den Schmerz. Wieder ist es scheinbar einfacher, dem anderen die Verantwortung zuzuschieben, also werde ich lieber zornig als dass ich mich bemühe, den Beweggrund zu verstehen, und reagiere lieber beleidigt als dass ich schaue, was mein Anteil am Scheitern ist.

Wenn der erste große Zorn verraucht ist kann man daran gehen, das Gute zu bewahren. Nicht alles an der Ehe war falsch und schlecht — wenn beide Seiten einen Blick zurück auf das Gute werfen, wird das Auseinandergehen leichter.

Im Rahmen einer systemischen Familienaufstellung sind Ehekrisen und Trennungen sehr gut zu bearbeiten. Zunächst wird sichtbar, was die familiäre Dynamik ist, die dazu führt, dass das Paar nicht mehr beieinander stehen mag. Im zweiten Schritt kann ein lösendes und befriedendes Ritual durchgeführt werden. Dies hat vor allem für die Kinder, die bei jeder unsauberen Trennung die meiste Last zu tragen haben, eine erleichternde Wirkung. Im Rahmen dieser Rituale werden auch Sätze gesprochen, die trennend und Frieden schaffend zugleich sind. Hier sind ein paar Beispiele:

  • „Ich danke Dir für die gemeinsame Zeit.”
  • „Danke für das, was ich bekommen habe von Dir. Es wahr sehr viel und ich halte es in Ehren.”
  • „Wir trennen uns als Paar, doch wir bleiben gemeinsam Eltern.”

(Bis diese Sätze von Herzen gesprochen werden können, ist oft einiges an klärender Arbeit zu tun und es nutzt wenig, sie auswendig zu lernen. Sie sind immer ein Ergebnis des individuellen Prozesses und hier nur beispielhaft angeführt.)

Ein passendes Gedicht schrieb Norbert Mayer, systemischer Therapeut in München.

Abschied in Beziehungen

Sie kommen voneinander oft nicht los,

Weil sie sich gegenseitig nicht genommen haben,

Und nicht genommen, was sie sich gegeben haben.

Bei guter Lösung sagen beide gegenseitig sich:

Ich nehme, was du mir geschenkt,

Und ich behalte es, es wird mich stets begleiten.

Und was ich dir gegeben habe, habe ich dir gern gegeben.

Behalte es, es wird dich stets begleiten.

Was schief gegangen ist, nehm‘ ich mir meinen Teil

Und lass dir deinen.

Jetzt lass‘ ich dich in Frieden.

Dann überlässt sich jeder seinem tiefen Schmerz.

Der brennt sehr heftig, hat jedoch ein Ende.

Wenn das geschehen ist,

Können beide miteinander

Frei sich reden.

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