Lebenssinn

Burnout und der Sinn des Lebens

Was ist der Sinn des Lebens? Burnout-Klienten sehen in ihren alltäglichen Aufgaben nicht mehr den Sinn des Lebens. Die ursprüngliche Begeisterung ist verflogen, das Engagement...

Was ist der Sinn des Lebens?

Burnout-Klienten sehen in ihren alltäglichen Aufgaben nicht mehr den Sinn des Lebens. Die ursprüngliche Begeisterung ist verflogen, das Engagement verblasst. Manchmal liegt die Ursache darin, dass sich die Aufgaben selbst verändert haben. Häufiger haben jedoch die Veränderungen im eigenen Leben einen Reifungsprozess in Gang gesetzt, der nicht mehr reversibel ist. Dann erscheinen einem die Aufgaben, die früher sinnvoll waren, in neuem Licht.

Der Sinn des Lebens kann nicht als etwas Statisches angesehen werden. Etwas, nachdem wir einmal suchen und wenn wir es gefunden haben, es für den Rest unseres Lebens zum Kompass unseres Handelns machen. Er ist abhängig von unserem eigenen inneren Erkenntnisweg sowie von den Aufgaben, die uns das Leben beschert, so wie es gerade ist.

Der Sinn des Lebens: Satt werden und sicher schlafen

Für einen Säugling ist es der Sinn des Lebens satt zu werden und zu schlafen. Um diesen Sinn zu erreichen, setzt er alles ein, was er hat: seine durchdringende Stimme, die ans Ohr der Mutter dringen soll.

Nicht viel anders ergeht es Menschen, die von Naturkatastrophen oder Kriegen heimgesucht wurden, deren Heim nicht mehr existiert, deren Existenz durch Hunger und Durst bedroht ist. Sie machen sich keine Gedanken darüber, wie man Macht erlangen oder die Welt retten könnte – ihnen reicht es, die nächste Mahlzeit zu finden und einen sicheren Ort für die kommende Nacht.

Der Sinn des Lebens: Die undurchschaubare Welt unter Kontrolle bekommen

Wird das Kind älter, dann erwacht der Wunsch, die unverständliche Welt mehr unter eigene Kontrolle zu bekommen. Das magische Bewusstsein beginnt sich zu formieren, Kinder im Alter von 4-6 Jahren sind fasziniert von Geschichten die Zwerge, Riesen und andere personifizierte Naturkräfte enthalten.

Der Sinn des Lebens auf dieser Entwicklungsstufe besteht darin, die großen Gefühle unter Kontrolle zu bringen, die eine weitgehend unverständlichen Welt hervorruft. Missverstanden wird dieses Alter die Trotzphase genannt. Dabei ist es die großartige Zeit, die eigene Emotionalität zu entdecken und ihr ein sicheres Zuhause innerhalb unseres erwachenden Geistes zu geben.

Einige Jahre später – das Kind geht jetzt in die zweite oder dritte Klasse – verschiebt sich der Sinn des Lebens weiter durch den Erwerb von Fähigkeiten, die einen grundlegenden Perspektivwechsel ermöglichen. Kinder von acht Jahren beginnen, sich in Haustiere hineinzuversetzen und können sie jetzt in einer dem Tier entsprechenden (!) Weise behandeln. Sie beginnen zu lernen, wie ihre Spielkameraden gemeinsame Erlebnisse aus ihrer eigenen Sicht beschreiben.

Der Sinn des Lebens: Ich will etwas für meine Leute tun

Das Kind kann sich nicht mehr nur ausschließlich als „Ich“ erleben, sondern es lernt die Wirkung seines Handelns auch in der zweiten Person wahrzunehmen. Dies ist der Übergang von der egozentrischen Weltsicht zur gruppenorientierten Weltsicht. Es ist eine grandiose Leistung, die gleichzeitig einen enormen Schub an Erkenntnis über die eigene Umgebung ermöglicht.

Mit dem Perspektivwechsel vom „Ich” zum „Du” geht eine Neubewertung des Lebenssinns einher. Kinder, die aus ihrer narzisstischen, selbstbezogenen Phase erwachsen sind, können Mitgefühl mit ihnen bekannten Wesen haben und dann dieses Mitgefühl zu einer Maßeinheit machen, die ihrem Handeln Sinn gibt.

Die Frage nach dem Sinn des Lebens wird jetzt immer in irgendeiner Weise die eigene vertraute Gruppe betreffen. Pathologische Abzweigungen in dieser Phase sind möglich. Sie führen dann bei erwachsenen Menschen zur Soziopathie oder narzisstischen Störungen.

Die integrale Psychologie nennt diese Weltsicht die ethnozentrische Weltsicht. Es gibt aus dieser Perspektive immer eine eindeutige Unterscheidung zwischen den Guten und den Bösen, den Bekannten und den Fremden, den eigenen Leuten und den Anderen.

Es bereitet keinerlei moralische Schwierigkeiten, den bösen, fremden Anderen auszugrenzen und schlecht zu behandeln. Die meisten Naturvölker hatten ein Wort für ihren eigenen Stamm, ihr eigenes Volk, das gleichzeitig Mensch bedeutete. Die Anderen sind Nicht-Menschen.

Der Sinn des Lebens wird auf dieser Entwicklungsstufe darin gesehen, für das eigene Volk zu sorgen und es vor den anderen zu sichern.

Die pathologischen Auswüchse des ethnozentrischen Denkens sind in aller Welt zu beobachten. Der letzte machtvolle Ausbruch dieser Art in Deutschland war die Nazizeit.

Der Sinn des Lebens: Ich will gleiche Bedingungen für alle Menschen ermöglichen

Mit der französischen Revolution entstand eine neue Perspektive auf die Welt. „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit” und „Jeder Mensch soll nach seiner eigenen Façon selig werden” (Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit) wurden die neuen Ideale, die mittlerweile unser Grundgesetz und die europäische Verfassung ebenso prägen, wie die amerikanische.

Gelingt es Menschen, über das ethnozentrische Denken hinauszuwachsen, verändert sich wiederum die Bewertung des Sinns des Lebens. Es entsteht eine vorurteilsfreie Wahrnehmung für die ganze Welt, für alle Menschen, für alle Lebewesen, für ein ganzes Ökosystem. Jetzt wird das eigene Handeln gemessen an der Kongruenz mit dem Gedanken von Ebenbürtigkeit der Bedürfnisse aller Menschen, möglicherweise sogar aller fühlenden Wesen.

Daraus ergibt sich eine völlig neue Orientierung des eigenen Handelns.

Keiner dieser Übergänge zwischen den unterschiedlichen Weltsichten vollzieht sich von einem Tag auf den anderen. Gerade der Weg vom ethnozentrischen zum weltzentrischen Denken ist ein Vorgang, der sich über Jahrzehnte hinzieht und auch in verschiedenen Lebensbereichen unterschiedlich schnell voranschreitet. Ebenso kann er durch äußere Einflüsse und Erlebnisse unterbrochen oder sogar rückgängig gemacht werden.

Der bei Burnout-Klienten zu beobachtende Motivationsverlust hat jedoch häufig mit diesem veränderten Blick auf das zu tun, was als sinnvolles Handeln empfunden wird. War vor einigen Jahren noch die Karriere, die Dominanz im Geschäft in der Konkurrenz zu anderen Anbietern ein gut funktionierender Antreiber, wird dies mit fortschreitender Reifung für viele Menschen weniger interessant.

Burnout entsteht aus der Inkongruenz unserer Handlungen mit unseren Wertvorstellungen. <Henning Matthaei

Stattdessen rückt in den Vordergrund, welche Wirkung das eigene Handeln global gesehen und langfristig hat. Wie beieinflusst es die Zukunft der nächsten Generationen auf der Welt? Welchen Preis zahlen Menschen an anderen Orten der Welt dafür, dass wir so handeln, wie wir handeln?

Ein Bewusstsein dafür entsteht, dass wir keine getrennten Individuen, keine separat voneinander existierenden Völker oder Gruppen sind. Es wächst die Erkenntnis, dass sämtliches Handeln miteinander verwoben ist und jede Entscheidung Auswirkungen an anderem Ort hat. Mit dieser Erkenntnis entsteht auch ein neues ethisches Gerüst, das der vorangegangenen Stufe fremd und unheimlich ist.

In diesen zwei Zuständen befinden wir uns nun als Gesellschaft. Ein Teil sieht die Notwendigkeit, nicht nur auf Deutschland zu schauen, nicht einmal nur auf Europa, sondern die ganze Welt als Gemeinschaft, in der es darum gehen sollte, Ausgleich und Fairness zu erringen. Die anderen fühlen sich genau durch dieses Denken bedroht, fürchten um ihre eigene Sicherheit und Versorgung.

Keine dieser beiden Sichtweisen ist die einzig gültige Wahrheit. Die Kampfzone ist dort, wo beide Gruppen ihre Sicht für die einzig richtige halten. Und so entsteht ein innergesellschaftlicher Konflikt, der schwer zu heilen ist, wie wir es an den Vorgängen in den USA seit der Wahl Donald Trumps erleben können.

Aufgabe für diejenigen, die mehr oder weniger umfassende Weltsicht erlangt haben, sollte sein, diejenigen mit dem begrenzten Blick („America First”) mit der für sich selbst reklamierten umfassenden Großzügigkeit anzuschauen. Es gilt nach Wegen zu suchen, wie man denjenigen, die nur auf begrenzte Ausschnitte der menschlichen Gemeinschaft schauen, dazu verhelfen könnte, ihren Horizont zu erweitern.

Das ist in dem Ausmaß möglich, in dem eine Bereitschaft zum Lernen da ist, lediglich die richtige Anregung noch fehlt. Beim amerikanischen Präsidenten selbst würde ich diese Bereitschaft zumindest infrage stellen. Vielen anderen Menschen jedoch äußert sich die Bereitschaft den Übergang vom ethnozentrischen zum weltzentrischen Fühlen und Handeln lernen zu wollen im Verlust ihres eigenen Lebenssinns innerhalb ihrer bisherigen Weltsicht.

Die folgende Frage könnte ein Zugang sein, um sich die kognitiven und emotionalen Fähigkeiten zu erschließen, die für diesen Wachstumsschritt notwendig sind. „Was würde meinem Handeln Sinn geben, wenn ich davon ausgehe, dass meine früheren Antworten auf diese Frage richtig waren aber für mein künftiges Leben nicht mehr ausreichend sind?“

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