Machtkampf in Beziehungen

Führen oder folgen?

Blauer Himmel, Sonne, Sandstrand und Schaumkronen auf dem glänzenden Wasser. Es war nicht schwierig, meine Frau zu überreden, den ersten Teil des Arbeitstages am Meer zu...

Blauer Himmel, Sonne, Sandstrand und Schaumkronen auf dem glänzenden Wasser. Es war nicht schwierig, meine Frau zu überreden, den ersten Teil des Arbeitstages am Meer zu verbringen. Nachdem der Wetterbericht vom Sonntagabend nur Gutes vorherzusagen wusste, waren wir schon zum Frühstück in unserem Lieblingscafé an der Ostsee. Dort und später am fast menschenleeren Strand entstand dieser Artikel.

Es ist nicht immer so leicht die Führung in der Partnerschaft zu übernehmen, die Kernaussage ist aber: „Mann, diene der Seele Deiner Frau, indem Du ihr den Weg zu größerer Tiefe und Entspannung bereitest.“ Wem das zuviel ist, der sollte jetzt aufhören zu lesen. Schon vor vielen Jahren habe ich begonnen mit den systemischen Aufstellungen zu arbeiten, die durch den Psychotherapeuten Bert Hellinger sehr populär wurden. Von Anfang an brachte seine Arbeit eine erstaunliche Polarisierung der Öffentlichkeit hervor.

„Die Frau folgt dem Mann“, wurde Hellinger immer wieder zitiert. Und wenn es dabei geblieben wäre, würde ich hier sicher kein Wort über ihn verlieren. Nur was die Demagogen verschwiegen (oder sie hatten einfach vor lauter Entrüstung nicht weitergelesen in den „Ordnungen der Liebe“), das war die Fortsetzung des Satzes. In mitteleuropäischer Hexenjagdmanier nach dem Motto „Wer drauf haut hat Recht“ vergaßen sie zu erwähnen, was Hellinger wieder zum Menschen macht: „Die Frau folgt dem Mann - und der Mann dient dem Weiblichen“

Und der Mann dient dem Weiblichen. Diese Aufforderung ist so großartig und schlägt alle patriarchalen Denker vor den Kopf, ja er sprengt geradezu die männergeprägte Weltsicht. Sich an diesen Satz zu halten, würde bedeuten, dass ein Mann - wann immer er von seiner Frau verlangt, ihr zu folgen - vorher sicherstellt, dass seine Ziele und sein Handeln dem Weiblichen zu größerer Bewusstheit seiner selbst führt.

(Das bedeutet nicht, dass eine Frau einen Mann braucht, der ihr sagt, wie sie bewusster wird. Sondern lediglich, dass der Tanz zwischen männlicher und weiblicher Energie deutlich lustvoller wird, wenn es eine führende Kraft auf der einen Seite und Entspannung auf der anderen Seite gibt. Es ist ein Training in Achtsamkeit und Hingabe. Achtsamkeit darauf, ob bloß der Narzissmus der Frau bedient oder wirklich dem Weiblichen in der Tiefe begegnet wird. Hingabe daran, dass das Leben Impulse bereitstellt, die durch den eigenen Widerstand hindurch eine umfassendere Erfahrung von Glück ermöglichen. Ein Abenteuer, das man nur zu zweit erleben kann...)

Führen bedeutet nicht reißen, befehlen oder vergewaltigen. Wie es hier gemeint ist, ist die Führung in der Beziehung eine Kombination aus Klarheit darüber, was ich vorhabe und beständigen sanften Hinweisen, welche Beziehungsfigur ich als nächstes tanzen will.

Folgen bedeutet nicht Willenlosigkeit, Unbeweglichkeit oder Sklavengehorsam. So wie der Begriff hier verwendet wird, ist es eine wache, offene Bereitschaft, sich von der nächsten Tanzfigur überraschen zu lassen und an einen unbekannten (inneren) Ort führen zu lassen.

Sumpfdotterblume{.float-left} Ein Beispiel aus eigener Erfahrung: Im Frühsommer waren wir auf Gebirgstour in Lappland (Nordschweden). Ich hatte das Reiseziel festgelegt, eine Route geplant und ein paar Jahre gewartet, bis meine Frau bereit war, so einen Urlaub mitzumachen. Hier sind ein paar stark verkürzte Zitate der Kommentare von Claudia auf unsere Erlebnisse:

  1. Tag: „Mein Gepäck ist so schwer. Das schaffe ich nicht.

  2. Tag: „Wie steinig der Weg ist. Wenn das so bleibt, habe ich keine Lust mehr weiterzugehen.

  3. Tag: „Schau mal, die vielen Rentiere!

  4. Tag: „Können wir nicht vier Wochen hier bleiben statt nur einer?

Was war geschehen? Gesundes Führen bedeutet, am Vorhaben festzuhalten, aber die Form den Menschen anzupassen. Außerdem darf nicht das äußere Ziel wichtiger bewertet werden als das innere Erleben. Am ersten Tag haben wir nach zwei Kilometern das Zelt aufgebaut. Am 2. Tag haben wir sehr viele Pausen gemacht. Am 3. Tag begann sich die Hochgebirgslandschaft vor uns zu weiten und wir hatten das Glück die Rentiere auf dem Weg in ihre Sommerweidegründe zu beobachten.

Claudia im Eis{.float-right} Am 4. Tag eröffnete sich bei strahlendem Wetter eine weite, unberührte und menschenleere Landschaft vor uns, die die Seele berührte. Genau das war der Höhepunkt der Reise - kein Gipfel, kein erklommener Paß, keine Kilometerleistung. Berührung der Seele durch Natur total. Zu diesem Zeitpunkt kam der Wunsch nach Verlängerung der Reise, mit dem eigentlich eine Verlängerung der tiefen inneren Berührung gemeint war.

Noch einmal zur Klarheit: Dies ist absolut kein Zurück-an-den-Herd-Aufruf. Vielmehr ist es eine Aufforderung an die Männer, die Ehe- und Liebespartner sein wollen, herauszufinden, auf welche Weise sie die Seele ihrer Lebensgefährtin in der Tiefe berühren können. Auf nichts anderes wartet sie mehr, nichts anderes wird so sehr belohnt.

Die längste Reise{.float-left} Am Ende der Reise stand ein Stein mit der Inschrift: „Die längste Reise ist die Reise nach innen.“

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